Veltheimer Unglück

Halbwahrheiten über das Veltheimer Unglück   Wer war Bruno von Mudra?

Halbwahrheiten über das Veltheimer Unglück

Hintergründe zum Veltheimer Unglück, dem größten Manöverunglück in der deutschen Militärgeschichte, bei dem am 31. März 1925 achtzig Reichswehrsoldaten und ein Zivilist in der Weser bei Veltheim ertrunken sind.
Manuskript Kossack
Der Artikel ist leicht gekürzt unter der Überschrift “Überladenes Gefährt bringt den Tod” im “Mindener Tageblatt” am 11. Mai 2005 erschienen.

 

Legendenbildung um Veltheimer Unglück und Rolle der Reichswehr

Seit 80 Jahren wird vor Ort in „Ehrfurcht“ der Opfer des Veltheimer Unglücks oder, wenn der Zeitgeist kriegerischer gestimmt war, der „toten Helden“ gedacht. Das Unglück war keine „Verkettung unglücklicher Umstände“, kein unabwendbares Schicksal, wie immer noch beschönigend beteuert wird. Es war von höchsten Reichswehrkommandeuren selbst gemacht. Im Rahmen eines Bewegungskriegsmanövers für den gesamten Wehrkreis 6 sollten am 31. April 1925 größere Truppenverbände bei Veltheim die Weser überqueren. Solche Großmanöver waren der Reichswehr, die nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags nur zum Grenzschutz und als Polizeitruppe im Innern dienen sollte, verboten. Das Wehrkreiskommando 6 in Münster hatte das Manöver trotzdem angesetzt.

Geeignetes Pioniergerät zur Weser-Überquerung war nicht vorhanden, die Manöverplaner behalfen sich mit einer seit langem als „kriegsunbrauchbar“ bekannten Gierfähre. Die Seilfähre war bei der Unglücksfahrt nach Augenzeugenberichten überladen – ein Kompaniechef hatte sich geweigert, seine Leute auf das sichtbar überlastete Gefährt zu schicken. Die Soldaten, die nach dem Übersetzen schnell wieder in das „Gefecht“ eingreifen sollten, wurden kriegsnah mit Marschgepäck (Stahlhelm, Gewehr, Tornister) auf die Fähre kommandiert. Selbst gute Schwimmer besaßen so beim Kentern kaum eine Chance. Es war überdies ein offenes Geheimnis, dass sich unter den Reichswehrsoldaten damals viele Nichtschwimmer befanden. Die genannten Vorgaben/Befehle von Manöverplanern und -Leitung waren menschenverachtend, weil sie die Fürsorgepflicht für die anvertrauten Soldaten vorsätzlich missachteten. Der Vorgang lässt sich nur auf dem Hintergrund der damaligen politischen Gegebenheiten erklären.

Durch den Versailler Diktatfrieden war Deutschland zahlenmäßig (100 000 Mann – Heer) und technisch (keine Panzer, Flugzeuge usw.) einseitig zur Abrüstung gezwungen worden. Die Reichswehrführung versuchte bereits seit Anfang der 20er Jahre die Verbote zu unterlaufen. Sie plante ein neues Großheer, das das kaiserliche Heer übertreffen und Deutschlands Weltmachtrolle wiederherstellen sollte. Zunächst wurden dazu nur Pläne ausgebrütet und sorgsam geheim gehalten. Dirks/Janßen schreiben in ihrem Buch ´Der Krieg der Generäle`: „General Hans von Seeckt, Chef der Heeresleitung und Schöpfer des 100 000 Mann Heeres, hatte 1923 dem Truppenamt folgende Planungsaufgabe gestellt: ein Kriegsheer mit einer Stärke von 2,8 bis 3 Millionen Mann aufzustellen. Vorgesehen waren 102 Divisionen. … Das verblüffende an dieser Geheimstudie: Am 1. September 1939, als der Zweite Weltkrieg begann, steht das deutsche Heer tatsächlich mit 102 Divisionen bereit.“ Der Kommentar der beiden Verfasser lautet: „Ohne die minuziöse Vorarbeit des Geheimen Generalstabs der Reichswehr und anderer Heeresämter hätte das „Dritte Reich“ niemals binnen sechs Jahren die stärkste und modernste Land- und Luftmacht auf die Beine stellen können.“ 1)

Die Existenz des so genannten „Großen Plans“ besagt noch nichts über seine praktische Ausführung. Die notwendigen Ressourcen wurden der Reichswehr erst durch das Hitler Regime bereitgestellt. Entsprechende Zusagen waren der Hauptgrund, warum sich 1933 die meisten Reichswehrgenerale auf Hitler eingelassen hatten. Vorher mussten sie sich bei ihren Manövern, wie das Beispiel Veltheim zeigt, mit Provisorien begnügen.

Die Reichswehrgeneralität hatte ab Mitte der 20er Jahre begonnen, in der damaligen Sowjetunion, gemeinsam mit der Roten Armee, neue Waffensysteme zu entwickeln. Ihre Herstellung und Erprobung in Deutschland war verboten und wegen der Kontrollen der Siegermächte des Weltkriegs nicht möglich. Zur Bedeutung dieser Zusammenarbeit betont Manfed Zeidler, dass es dabei nicht um „Quantitäten“ ging, da für nennenswerte Rüstungsprojekte vor 1933 die Geldmittel sowie wichtige politische Vorraussetzungen gefehlt hätten: „Es konnte nur darum gehen, die Vorraussetzungen für eine deutsche Rüstungsfähigkeit zu schaffen, um zukünftigen Reichregierungen die Option moderner Streitkräfte zu eröffnen. … Wenn bereits 1934 die ersten Kampfflugzeugtypen und der erste deutsche Tank in Serie gehen, so war das das Resultat der in den Jahren 1927/28 mit dem I Rüstungsprogramm begonnenen Entwicklungs- und Erprobungsarbeit.“ 2)

Modernisierung der Pionierwaffe nach Veltheim
Das Mindener Pionierbataillon 6 war an der waffentechnischen Entwicklung maßgeblich beteiligt und avancierte nach Veltheim zur „Elitetruppe“ in der Reichswehr. Gierfähren wurden nicht mehr benutzt, neues Brückengerät entwickelt und erprobt und die Mindener Pioniere wurden Stammgäste bei den wichtigsten Großmanövern im Reich. Im Oktober 1929 erwähnte die „Mindener Zeitung“ erstmals die Existenz einer motorisierten Brückenkolonne in der Garnison. Am 17. Dezember 1930 berichtete die Redaktion über eine erfolgreiche Brückenübung an der Weser bei Petershagen mit dem Aufmacher: „1200 Panzerwagen brausen ab“. Dietrich Petter schreibt. „In den 20er- und 30er Jahren genügte die Ausbildung der Pioniere im Bau von Brücken bis zu 30 t Tragfähigkeit, obwohl für Regellasten bereits 8 t Brücken ausreichten“.3) Die Reichswehr modernisierte die Panzerwaffe (in Kazan in der damaligen Sowjetunion) und das Pionierbrückengerät (vor allem hier in Minden) aufeinander abgestimmt. Sie schuf damit die Grundlagen für weiträumige Panzervorstöße/Blitzkriege auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs. 4)

Anmerkungen:
1. Carl Dirks/Karl-Heinz Janssen, Der Krieg der Generäle, Berlin 1999, Seite 13f.
2. Manfred Zeidler, Reichswehr und Rote Armee, München 1993, Seite 302f.
3. Dietrich Petter, Pioniere – Entwicklung einer Waffengattung, Darmstadt 1963, Seite 223
4. Hierzu und zur Bedeutung des Veltheimer Unglücks für die Mindener Pioniere siehe auch den Aufsatz „Von der Reichswehr zur Wehrmacht“ in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsverein, 1999, Seite 65 – 111

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April 2005: Keine Mudrastraße in Minden

aus der Berichterstattung im Mindener Tageblatt vom 21.04.2005

Kein Straßenname für Flammenwerfer Mudra
Bauausschuss revidiert Benennung

Minden (lkp). "Die Geschichte wiederholt sich, das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce" - dieses Verdikt von Marx trifft auch auf den Mindener Bauausschuss zu. Und die Geschichte, um die es geht, ist die Benennung einer Straße auf dem ehemaligen Kasernengelände an der Ringstraße.

"Am Autopark" und "Felix-Wankel-Straße" hatte die Verwaltung am 9. Februar als alternative Straßennamen vorgeschlagen. Doch aus dem Ausschuss kam die Anregung, durch eine "Mudrastraße" den Bezug zur Mudrakaserne an dieser Stelle zu wahren. Dem in diesem Sinne abgewandelten Vorschlag stimmte der Ausschuss zwei Wochen später mit acht Ja-Stimmen zu.

Nachforschungen des Historikers Kristan Kossack förderten im Anschluss zu Tage, dass der kaiserliche Infanteriegeneral Bruno von Mudra (1851-1931) sich nicht nur als Generalinspekteur der Pioniere um die Integration dieser Truppe in das Landheer verdient gemacht hatte. Als Kommandeur des 16. Armeekorps bis 1916 stand er in Verbindung zu den ersten Einsätzen von Flammenwerfern durch Pioniere bei Verdun ab Februar 1915. 1938 wählten die Nazis ihm zum Namenspatron für die neue Pionierkaserne am damaligen Römerring.

Schon das zweite Mal habe die Bauverwaltung bei einer Straßenbenennung geirrt, tadelte Karl-Ludwig Sierig (MI) - dabei hatte er doch den Vorschlag pro Mudrastraße Anfang Februar eingeworfen und die Verwaltung so ins Fettnäpfchen gelockt. Jetzt revidierte der Ausschuss die (Fehl-)Entscheidung bei einer Enthaltung.

Zugleich erging eine Aufforderung ans Rathaus, Vorschläge vorher besser zu prüfen. Und dabei ist Eile geboten, wie Fachbereichsleiter Klaus-Georg Erzigkeit klar machte. "Spätestens zum Genehmigungszeitpunkt brauchen wir einen Straßennamen, und der Bauherr braucht eine Adresse."

Da liegt für den wankelmütigen Ausschuss weiter Felix Wankel (1902-1988) auf dem Tisch , der Erfinder des unverdächtigen Kreiskolbenmotors von 1954. Und was hat das NSDAP-Mitglied (seit 1926, ausgeschlossen 1932) vorher gemacht? Im Auftrag Himmlers an Wunderwaffen gebastelt . . .

Erscheinungsdatum 22.04.2005

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Wer war Bruno von Mudra?

Bruno von Mudra, (geb. 1851, gest. 1931, geadelt 1913) war General im kaiserlichen Heer. Von 1911 – 1913 Chef des Ingenieur- und Pionierkorps und Generalinspekteur der Festungen, im Ersten Weltkrieg zunächst Kommandeur des 16. Armeekorps an der Westfront (Argonnen), ab Oktober 1916 Oberbefehlshaber der 8. Armee im Osten und 1917/18 wieder Armeeführer im Westen. (vgl. Der Neue Brockhaus, Bd. 3, Leipzig 1937) Über Mudra heißt es in der Sitzungsvorlage der Mindener Stadtverwaltung (FB 5,2): „Als sein besonderes Verdienst um die Pionierwaffe gilt, dass er den besonderen Wert gemeinsamer Übungen der Pioniere mit anderen Truppengattungen und die Bedeutung der sich ständig fortentwickelnden Technik erkannte. General von Mudra hat somit entscheidend die Bedeutung der Pioniere innerhalb der Armee geprägt.“

In „Geschichte der Mindener Pioniere, 1804 – 1936“ von Reimund Westphal (das Vorwort ist mit 21.4.1936 datiert) wird Mudra beim Rückblick auf den Ersten Weltkrieg wie folgt zitiert: „Die Pioniere traten in den Weltkrieg als die im Frieden für den Ernstfall wohl am härtesten erzogene und vorbereitete Truppe. Ihre Leistungen vor dem Feinde entsprachen als Kampf-, wie als technische Waffe durchweg den höchsten Anforderungen. Sie waren glänzend von Anfang bis zum Ende! Für den künftigen Entscheidungskampf wird das Vaterland solche Pioniere dringend brauchen. Das wird und muss richtunggebend sein und bleiben für die Erziehung unserer Jugend.“ (Seite 25).

In der "Deutschen Biographischen Enzyklopädie" (München 1998) ist über Bruno von Mudra ferner vermerkt, dass er 1918 zu den "Befürwortern einer Fortsetzung des Krieges" gehört hat und "nach der deutschen Niederlage die Dolchstoßlegende unterstützte".
Siehe unter Publikationen "Von der Reichswehr zur Wehrmacht".

Mudra war vor dem Weltkrieg als Generalinspekteur der Pioniere und während des Kriegs als kommandierender Armeeführer maßgeblich verantwortlich für „Leistungen vor dem Feinde“.

In „Pioniere – Entwicklung einer Waffengattung“ (Darmstadt 1963) werden diese Leistungen von Dietrich Petter konkret wie folgt beschrieben. Den Pionieren seien im Ersten Weltkrieg ganz neuartige Aufgaben zugewachsen. Sie kamen von nun an auch im Stellungskrieg, zusammen mit der Infanterie im Nahkampf, vor allem als „Stoßtrupps“ mit neu entwickelten Flammenwerfern, als Gaskampftruppe oder Minenwerferkompanien zum Einsatz. Der Name Stoßtrupp hat nach Petter seinen Ursprung bei den „Flammenwerferpionieren“. Petter: „Der erste Flammenwerferangriff am 26.2.1915 im Bois de Malancourt nördlich Verdun war über Erwarten erfolgreich. Die hier in Sappenköpfenx eingebauten 15 großen Flammenwerfer auf je 50 m Frontbreite lösten beim Gegner panikartige Flucht aus, so dass der eigenen Infanterie ein 600 m tiefer Einbruch in das feindliche Stellungssystem auf einer Frontbreite von 700 m gelang.“ (Seite 188ff.)

Petter betont, dass die Anwendung von Gas als Kampfmittel schon bei den alten Griechen erprobt wurde (Schwefeldioxyd). Im Ersten Weltkrieg hätten die Franzosen, „bereits zu Beginn des Krieges, wenn auch mit wenig Erfolg, Giftgas als Kampfmittel eingesetzt.“ (Seite 189f.) Das hätte die „deutsche Heeresleitung veranlasst, ein Verfahren entwickeln zu lassen, um Kampfstoff als Massenwirkungsmittel zum Einsatz zu bringen“ und die Pioniere „mit der Schaffung praktischer Voraussetzungen“ beauftragt. Über den ersten Gasangriff schreibt Petter: Er erfolgte „am 22. April 1915 nördlich Ypern. 1600 große und 4130 kleine Flaschen Chlorgas wurden batterienweise zu 20 Stück auf einer Frontbreite zu 6 km eingebaut. Das Ablassen dauerte 4 – 6 Minuten. Der Erfolg war durchschlagend. Mit geringen eigenen Verlusten wurde ein Geländegewinn von 4 km erzielt, 5000 Gefangene eingebracht, und 60 Geschütze erbeutet. Der Feind büsste 5000 Mann an Toten und 15000 Mann an Vergifteten ein.“ (Seite 190).

Der Kasernenname Mudra wurde von den Nazis vergeben

Die „Mudra-Kasernen” gibt es in Minden seit 1938. Dieser Kasernenblock an der Ringstraße, früher Römerring, war bereits 1935 im Zuge der deutschen Kriegsvorbereitungen fertig gestellt worden. (Vgl. Mindener Beiträge, Bd. 29, Seite 26). Er trug seit 1938 den Namen von General Mudra, weil am Römerring gerade das Pioniebataillon 16 neu aufgestellt wurde. Dieses Bataillon sollte auch die Tradition der von Mudra im Kaiserreich befehligten 16er. Pioniere fortführen. (Lokalausgabe der „Westfälischen Neusten Nachrichten“ (WNN) vom 18. Juli 1938) Das 1937/38 neu aufgestellte Mindener Pionierbataillon 16 endete im Januar 1943 im Kessel von Stalingrad. (Mindener Beiträge Bd. 29, Anm. 138, Seite 105f.)

Mit der Namensgebung sollte nach dem Willen der Nazis vor allem die Verbundenheit der NS-Wehrmacht mit der deutschen Heerestradition zum Ausdruck gebracht werden (Siehe z.B. entsprechende Ornamente an den 1936/37 neu errichteten Kasernen an der Grille). Die Mehrheit der Mindener Kasernen wurde 1938 um- bzw. neu benannt. Der Landesgebietsführer des NS-Reichskriegerbundes (Kyffhäuser) erinnerte in seiner damaligen Festansprache beim Taufakt an die „Großtaten des Führers zur Befreiung des Vaterlandes“ und betonte: „Was der Führer auch immer vollenden konnte, alles baute er auf den ehernen Boden soldatischer Festigkeit, gerade deshalb sind die alten Soldaten seine unwandelbare Gefolgschaft.“ (WNN, 18.7.1938).

Das Inferno beim Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg war nicht zuletzt durch die Wirkungsweise der neuartigen Flammenwerfer- bzw. Gas-Stoßtruppunternehmen der Pioniere mitbestimmt. Im obigen Zitat von Mudra finden sich, anders als in der kritischen zeitgenössischen Literatur/Publizistik (am bekanntesten ist Erich Maria Remarque`s Roman: „Im Westen nichts Neues“) nicht die geringsten Zweifel an der Richtigkeit des eigenen Handelns. Stattdessen heißt es da ausdrücklich: „Für den künftigen Entscheidungskampf wird das Vaterland solche Pioniere dringend brauchen. Das wird und muss richtunggebend bleiben für die Erziehung unserer Jugend.“ (siehe oben) Es versteht sich, dass die Nazis gern an dieses Traditionsverständnis angeknüpft haben. Umgekehrt fragt sich aber, warum heute ein Wegbereiter für das Inferno von Gaskrieg und Flammenwerfereinsätzen weiterhin als Vorbild dienen soll?
Kristan Kossack, Minden, den 20. April 2005

X Bei Sappen handelt es sich um Laufgräben, die aus der ersten Grabenlinie in Richtung Feind vorgetrieben wurden. Sappeur ist eine synonyme Bezeichnung für Pionier.


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